Urteilsrevue zum Thema Mindestlohn

Stand: 1970/01/01 00:00:00

Im Interview mit meinem Kollegen, Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, zu den bisherigen Urteilen zum MiLoG.

Fachanwalt Bredereck: Der gesetzliche Mindestlohn ist seit dem 01.01.2015 in Kraft. Dazu gab es ja nun schon einiges an Artikeln und Interviews von uns. Inzwischen haben wir auch die ersten Urteile zum Thema Mindestlohn im Volltext vorliegen. Was ist denn da Spannendes dabei? Nur um das kurz klarzustellen, diese Revue erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Fachanwalt Dineiger: Zu den ersten Urteilen zum Thema MiLoG zählte ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin, das kurz gesagt klargestellt hat, dass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach der Geltendmachung des Mindestlohns unwirksam ist. Das würde man eigentlich für selbstverständlich halten, im dem Fall ging es allerdings um eine etwas besondere Konstellation. Um angesichts der bevorstehenden Einführung des Mindestlohns Kosten zu sparen, wollte der Arbeitgeber hier die Arbeitszeit des Arbeitnehmers reduzieren. Als der Arbeitnehmer diese Änderung ablehnte, sprach der Arbeitgeber eine Kündigung aus. Diese Kündigung hielt das Arbeitsgericht Berlin nun für unwirksam (Urteil vom 17.04.2015, Az. 28 Ca 2405/15). Grund sei ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB. Der Arbeitnehmer habe berechtigterweise den Mindestlohn verlangt, demnach sei eine Kündigung als Sanktion maßregelnd und folglich unwirksam.

Fachanwalt Bredereck: Damit haben wir also eine Klarstellung, wie man es als Arbeitgeber nicht machen kann. Strittig ist beim Thema Mindestlohn ja auch die Frage der Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn. Ist dazu schon etwas entscheiden worden?

Fachanwalt Dineiger: Zu dieser Frage gibt es in der Tat schon Urteile. Der Gesetzgeber hat diese Frage, das noch einmal zur Rekapitulation, im MiLoG nicht geregelt. Dieses Problem war nach Ansicht des Gesetzgebers bereits durch die Rechtsprechung von BAG und EuGH hinreichend geklärt, auf die schlicht verwiesen wird. Deshalb zunächst noch der kurze Hinweis auf die „Isbir“-Entscheidung des EuGH vom 07.11.2013, die sich genau mit dieser Problematik auseinander setzt. Der EuGH hat, kurz erläutert, entscheiden, dass nur solche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen, die das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen Seite und der ihn hierfür erbrachten Gegenleistung auf der anderen Seite nicht verändern.

Fachanwalt Bredereck: Wird diese Vorgabe denn von den Gerichten auch tatsächlich so umgesetzt oder weichen sie davon ab?

Fachanwalt Dineiger: Interessanterweise gibt es tatsächlich Abweichungen, obwohl der EuGH relativ eindeutig zu verstehen ist. Anscheinend haben die Arbeitsgerichte aber noch Schwierigkeiten mit einer exakten Definition der anrechenbaren Gehaltsbestandteile.

Fachanwalt Bredereck: Zu diesem Thema gibt es zwei Entscheidungen. Sind die widersprüchlich oder lagen ihnen ganz unterschiedliche Sachverhalte zugrunde?

Fachanwalt Dineiger: Die beiden maßgeblichen Entscheidungen, die eine ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin von April 2015, die andere ein Urteil vom Amtsgericht Düsseldorf, ebenfalls von Ende April 2015 beschäftigen sich beide mit Zusatzentgeltbestandteilen, nämlich einem Leistungsbonus. Das interessante ist, dass nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin ein solcher Leistungsbonus nicht auf den Mindestlohn anrechenbar ist, nach Auffassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf aber schon.

Fachanwalt Bredereck: Ist also eins von beiden ein klares Fehlurteil? Und wenn ja welches?

Fachanwalt Dineiger: Ganz so einfach lässt sich das nicht sagen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann ein Leistungsbonus dann nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, wenn der Leistungsbonus tatsächlich zum inneren Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, also Arbeit und Entlohnung, steht. Ein Bonus ist in aller Regel in einem Arbeitsvertrag als freiwillige Leistung definiert. Das Problem ist – auch hierüber haben wir schon Beiträge gemacht – dass diese freiwillige Leistung im Laufe der Zeit dann gar nicht mehr so freiwillig ist, also der Arbeitnehmer einen Anspruch erwirbt. In dem Moment, in dem auf den Bonus aber ein Anspruch besteht, wird er nach Auffassung des BAG in der bisherigen Rechtsprechung zum Entgeltbestandteil. Er ist also Teil der Gegenleistung für die erbrachte Arbeit. Wenn er das aber ist, dann kann nach der Rechtsprechung des EuGH eine Anrechnung nicht erfolgen.

Fachanwalt Bredereck: Also kein Widerspruch, sondern nur einmal ein freiwilliger und das andere Mal ein nicht mehr freiwilliger Bonus?

Fachanwalt Dineiger: Das könnte man meinen. Interessanterweise definiert das aber das Arbeitsgericht Düsseldorf gar nicht so. Das Arbeitsgericht Düsseldorf machte einen Schlenker und stellt darauf ab, dass der Mindestlohnanspruch ein Mindestlohnanspruch, nicht aber ein Aufstockungsanspruch sei. Wenn also die Grundvergütung angehoben werden muss, um Mindestlohn zu erreichen, dann kann ein bisheriger Bonus angerechnet werden, da kein Anspruch auf mehr als Mindestlohn bestünde. In diesem Punkt unterscheidet sich das Urteil doch sehr deutlich vom Urteil des Arbeitsgerichts Berlin. Die Urteile weichen also doch voneinander ab.

Fachanwalt Bredereck: Da gibt es also doch noch erhebliche Unordnung. Wir warten doch ab, ob diese Urteile auch in der Berufung Bestand haben.

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