Berliner Mietspiegel ist (noch nicht) gekippt. Zum Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 11.5.2015, Aktenzeichen 235 C 133/13.

Stand: 1970/01/01 00:00:00

Vorbemerkung zur Schlagzeile

Gestern lautete die Schlagzeile überwiegend, das Amtsgericht Charlottenburg habe den Mietspiegel mit seinem Urteil gekippt. Zunächst vorab: dazu ist das Amtsgericht Charlottenburg gar nicht in der Lage. Es handelt sich zudem nur um eine Abteilung des Amtsgerichts, eine andere hat schon anders entschieden. Das Urteil bindet andere Gerichte nicht. Schließlich ist das Urteil berufungsfähig. Die gestrige Schlagzeile war also übertrieben. Trotzdem was aus meiner Sicht in Ordnung diese Schlagzeile zu wählen, da sie (hoffentlich) auf ein bestehendes Problem aufmerksam macht: die Anknüpfung des Gesetzgebers an den Mietspiegel (zum Beispiel bei der gesetzlichen Wiederholungsmöglichkeit oder auch aktuell bei der Mietpreisbremse) ist nicht unproblematisch und keineswegs eine sichere Methode den derzeitigen durch Spekulationen am Immobilienmarkt befeuerten Mietpreisexplosionen effektiv entgegenzuwirken. Warum das so ist zeige ich am Beispiel des Urteils des Amtsgerichts Charlottenburg.

Qualifizierter Mietspiegel begründet nur die widerlegbare Vermutung, die ortsübliche Vergleichsmiete wiederzugeben

Der Berliner Mietspiegel wurde in der Vergangenheit regelmäßig von den Gerichten als qualifizierter Mietspiegel anerkannt und damit als geeignet die ortsübliche Miete wiederzugeben.

Gemäß § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB wird ortsübliche Vergleichsmiete aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind gebildet. Dabei bleiben Erhöhungen wegen gestiegener Betriebskosten unberücksichtigt.

Gemäß § 558 d Abs. 1 BGB wird ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkennt worden ist als qualifizierter Mietspiegel bezeichnet.

Gemäß § 558 d Abs. 3 BGB wird bei einem qualifizierten Mietspiegel, der nicht älter als zwei Jahre ist, bzw. rechtzeitig angepasst wurde, vermutet, dass die in ihm angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben. Dabei handelt es sich um eine (widerlegbare) gesetzliche Vermutung.

Amtsgericht Charlottenburg hält den Berliner Mietspiegel 2013 nicht für einen qualifizierten Mietspiegel

Das Amtsgericht Charlottenburg kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass der Berliner Mietspiegel 2013 (und zunächst nur dieser) nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden ist und damit kein qualifizierter Mietspiegel ist. Dementsprechend begründet diesen Mietspiegel nach Ansicht des Amtsgerichts Charlottenburg auch nicht die Vermutung der ortsüblichen Vergleichsmiete.

Wesentliche Mängel des Berliner Mietspiegels 2013 aus Sicht des Amtsgerichts Charlottenburg

Das Amtsgericht Charlottenburg beruft sich auf ein Sachverständigengutachten, wonach der Berliner Mietspiegel nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sei. Das Gericht kommt dabei zu der Überzeugung, dass die von den Erstellern des Berliner Mietspiegels 2013 vorgenommene Extremwertbereinigung nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgt ist und somit bereits die Datenerhebung zu Unrecht bestimmte (Vermieter günstige) Daten nicht berücksichtigt. Insbesondere ein automatischer und nach feststehenden Werten vorgenommener Ausschluss bestimmter Daten zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt von Wuchermieten oder Gefälligkeitsmieten entspreche nicht anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen. Insofern seien Mietdaten, die an sich zu berücksichtigen wären, nicht in die Erstellung des Mietspiegels eingeflossen, das Ergebnis damit verzerrt.

Auch die Einordnung der Wohnlagen in die Kategorien einfach, mittel und gut entspreche nicht anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen. Die Kategorien vereinen zu unterschiedliche Wohnungen und seien damit zu undifferenziert.

Folgen der Ansicht des Amtsgerichts Charlottenburg: Bestimmung der ortsüblichen Miete durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens

Da das Gericht also die Vermutungswirkung des Berliner Mietspiegels als nicht gegeben ansah, holte es ein Sachverständigengutachten über die ortsübliche Miete ein. Der Sachverständige kam dann zu einer höheren ortsübliche Vergleichsmiete als der Mietspiegel 2013, entsprechend obsiegte der Vermieter mit seiner Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung.

Kritikpunkte am Vorgehen des Amtsgerichts Charlottenburg

In den Medien ist sofort kritisiert worden, dass das vom Gericht eingeholte private Sachverständigengutachten, welches letztlich nur zehn Vergleichsobjekte zugrunde legt, ungeeigneter für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete sei, als der Berliner Mietspiegel. Das sehe ich ähnlich.

Phänomene beim Erlebnis von Sachverständigengutachten vor Gericht

Leider erlebe ich in Mietsachen immer wieder, dass die Auswahl des Sachverständigen vom Gericht schon eine Entscheidung über das zu erwartende Ergebnis darstellt. Man muss dazu wissen, dass im Bau und Mietbereich die überwiegende Zahl der Gutachten von Vermietern, Bauherrn usw. in Auftrag gegeben wird. Es ist also nur ganz menschlich, wenn sich der Blick der Gutachter im Laufe ihres Lebens auf eine entsprechende Vermieter/Eigentümerperspektive verengt. Es ist also äußerst fraglich, ob ein Sachverständigengutachten letztendlich wirklich ein besseres Ergebnis liefert als ein in Teilen fragwürdiger Mietspiegel.

Folgen für die Zukunft der Rechtsprechung

Zunächst einmal wird das Urteil die Berufung beim Landgericht Berlin überstehen müssen. Das halte ich aus den oben aufgeführten Gründen keineswegs für selbstverständlich. Des weiteren wären selbst durch das Urteil einer Kammer des Landgerichts Berlin andere Gerichte nicht gebunden. Ob sich der Bundesgerichtshof letztlich wirklich vertieft mit den Details der Erstellung des Berliner Mietspiegel 2013 befassen will, steht ebenfalls noch nicht fest. Voraussetzungen für die erfolgreiche Angriffsmöglichkeit gegen einen qualifizierten Mietspiegel hat der Bundesgerichtshof bereits aufgestellt.

Von der Partei, die das Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels in Abrede stellt, ist allerdings zu verlangen, dass sie im Rahmen des Möglichen substantiierte Angriffe gegen den Mietspiegel vorbringt. Sie muss sich mit dem Inhalt … substantiiert auseinandersetzen, soweit dies ohne Fachkenntnisse – etwa auf dem Gebiet der Statistik – möglich ist (BGH, Urteil vom 06. November 2013 – VIII ZR 346/12 –, juris).

Das Urteil macht allerdings auf einen erheblichen Missstand aufmerksam.

Wesentliches Problem bei der Anknüpfung an ortsübliche Vergleichsmiete

Soweit der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Mieterhöhungsmöglichkeiten immer wieder an die ortsübliche Vergleichsmiete anknüpft, übersieht er folgendes großes Problem: eine Vielzahl der Mieterhöhungen ist von vornherein unwirksam. Mieter stimmen solchen Mieterhöhungen aus unterschiedlichen Gründen trotzdem zu. Ich nenne einige:

Angst vor Kosten in einem Zustimmungsprozess

Stimmt der Mieter nicht zu, muss ihn der Vermieter auf Zustimmung zur Mieterhöhung verklagen. Dies wird in jedem Mieterhöhungsverlangen auch angedroht. Mieter fürchten sich vor den enormen Kosten. Die Streitwerte sind nicht das Problem. Diese sind begrenzt auf die Jahres Mieterhöhung, also sehr niedrig. Das Problem sind die Sachverständigenkosten. Dieses Problem wird sich nunmehr verstärken, da Vermieter nun mehr als zuvor die wissenschaftlicher Erstellung der Mietspiegel anzweifeln und hierfür Sachverständigenbeweis anbieten werden. Die Sachverständigenkosten werden dann nach dem Verhältnis des Obsiegens/Unterliegens auf die Parteien aufgeteilt.

Angst vor Streit in einem Dauerschuldverhältnis

In der Praxis kommt es häufig vor, dass Vermieter, die mit Mieterhöhungsverlangen nicht durchdringen, andere Wege suchen, um Mieter aus (günstigen) Wohnungsmietverhältnis zu drängen. Hier bietet sich eine breite Palette, da Gesetzgeber und Rechtsprechung Mieter nur unzureichend vor Eigenbedarfskündigungen oder Kündigungen wegen (geringfügiger) Verstöße gegen die Pflichten aus dem Mietverhältnis schützen. Dazu hatte ich bereits des Öfteren ausführlich Stellung genommen. Vor diesem Hintergrund muss auch ich Mietern durchaus gelegentlich raten, klein beizugeben, da das Mietobjekt ansonsten Anlass für Begehrlichkeiten erweckt. In diesem Zusammenhang eine Offenlegung: ich vertrete Mieter und Vermieter und zwar in einem ausgewogenen Verhältnis. Ich bilde mir daher ein, hier nicht im Sinne einer mieterfreundlichen oder vermieterfreundlichen Ansicht “gefangen“ zu sein, sondern von einem echten Problem zu berichten. Das deutsche Mietrecht hält den Folgen der internationalen Spekulationen am Berliner Wohnungsmarkt nicht statt. Wir werden bei ungeschützten Fortgang der Entwicklung in den begehrten Innenstadtlagen bald nur noch wenig Mieter haben, stattdessen selbstnutzende Eigentümer, ausländische Kapitalanleger, die die Wohnungen teilweise leer stehen lassen, Ferienwohnungen und Gewerberäume. Das kann man gut oder schlecht finden, sollte aber nicht die Augen davor verschließen.

Mietspiegel als Instrument zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete, nicht aber als Instrument zur Dämmung der Preisanstiege

Aus den genannten Gründen ist der Mietspiegel sicher immer noch das beste Instrument zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Gleichwohl taugt er immer weniger zur Eindämmung des Mietpreisanstiegs. Es fließen nämlich zu viele Mieten ein, die ohne Berücksichtigung des Mietspiegels erhöht wurden. Zudem kommt die oben zitierte Rechtsprechung, die noch mehr Mieter von einer Gegenwehr Abstand nehmen lassen wird. Alle Instrumente, wie zum Beispiel die Mietpreisbremse, die an den Mietspiegel anknüpfen, sind daher ebenfalls eingeschränkt tauglich, die Preisentwicklung zu beeinflussen.

Folgen für die Zukunft, zum Beispiel die Mietpreisbremse

Das Urteil macht auf die geschilderten Missstände aufmerksam. Die Rechtsunsicherheit wird durch dieses Urteil weiter wachsen. Wesentliche Instrumente zur Begrenzung von Mieterhöhungen wie z.B. die Mietpreisbremse werden fragwürdig. Insbesondere Mieter ohne Rechtschutzversicherung werden es sich nicht leisten können oder wollen einen Prozess zu führen, in dem mit Sachverständigengutachten gekämpft wird. Das Kostenrisiko ist schlichtweg zu hoch. Vermieter großer Einheiten werden so lange suchen, bis sie einen privaten Sachverständigen gefunden haben, der ein von ihnen gewünschtes Ergebnis errechnet. Der Sachverständige, der dann im Prozess vom Gericht beauftragt wird, wird selten zu einem völlig abweichenden Ergebnis kommen. Fazit: die Mieten steigen weiter, ebenso wie die Werte im Mietspiegel.

Alternativen

Bei der Frage der Alternativen stimme ich eher mit den Vermietern überein. Letztlich ist nur der Wohnungsbau ein nachhaltiges Instrument zur Eindämmung von Wohnungsknappheit. Wichtig ist aber auch, dass die Politik erkennt, dass Gesetze und Verordnungen, die in der Praxis nicht tauglich sind oder deren Einhaltung nicht kontrolliert wird (zum Beispiel die Zweckentfremdungsverbotsverordnung in Berlin), nicht geeignet sind, das Problem nachhaltig zu lösen. Die Augenwischerei muss aufhören, um den Weg für eine Diskussion über effektive Maßnahmen freimachen.

Nachfolgend noch ein Video zur Miepreisbremse: Hier geht es zum YouTube Kanal (Direktlink)

Facebook
Twitter
LinkedIn
NEWSLETTER

Bleiben Sie mit unserem Newsletter über Gesetzesänderungen, aktuelle Urteile auf informiert und erhalten Sie hilfreiche Tipps für die Praxis.

Zum Newsletter anmelden.

Unsere Datenschutzhinweise finden Sie hier.

Ähnliche Beiträge

Kostenlose Ersteinschätzung in den Bereichen Arbeitsrecht und Mietrecht

Unsere Datenschutzhinweise finden Sie hier.

Kontakt

Sichern Sie sich jetzt Ihre kostenlose Ersteinschätzung.

Location

Dorfstraße 71,
D-15345 Lichtenow

berlin@recht-bw.de

+49 30 4 000 4 999